Wache auf. Fühle mich im ersten Moment etwas orientierungslos. Das Zimmermädchen betritt den Raum. Weißes Sweat-Shirt, weiße Hose, weiße Turnschuhe. Hatte ich ein Wellness-Hotel gebucht? Wahrscheinlich, obwohl das gar nicht meine Art ist. Sie ist nett, zuvorkommend, aber etwas pummelig. Na ja, vielleicht sehen sie es hier nicht so eng, wenn man gelegentlich über die Strenge schlägt. Freundlich fordert sie mich auf, zum Frühstück zu kommen. Bin gespannt, was das Buffet hier so zu bieten hat. Während sie meine Kleidung zurecht legt, überlege ich wie viel Trinkgeld ich geben sollte. Finde meine Brieftasche nicht, lasse mir aber nichts anmerken. Sie wartet auch gar nicht ungeduldig an der Tür, und ist mit einem „bis gleich“ auch schon verschwunden.
Der Frühstücksraum ist ein geräumiger, heller Ort mit einer langen Tafel in der Mitte. Viele Gäste sitzen bereits an ihr. Sehe das Buffet nicht. Zum Glück kommt das nette Zimmermädchen und bittet mich Platz zu nehmen. Aha, also mit Bedienung. Nicke den Gästen rechts und links freundlich zu. Einige scheinen ihre besten Tage bereits hinter sich zu haben. Ob da noch eine Wellness-Kur hilft, bezweifle ich.
„Kaffe, oder Tee?“
Ich bitte um ein Kännchen Kaffe. Es gibt nur Tassen, keine Kännchen, und die recht geschmacklos mit ihren blauen Punkten. Ähnlich der Kaffee, zu plörrig. Hätte doch lieber Tee nehmen sollen. Frage meine Tischnachbarin, wie der Tee schmeckt und ob es auch Rührei gibt. Sie sieht mich fragend an. Oh ja, es ist unhöflich, hatte mich gar nicht vorgestellt. Komme ins stocken, sage dann aber, ich bin heute neu angereist und kenne die Gepflogenheiten noch nicht. „Welcher Tag ist heute?“ fragt sie zurück.
Ich vermute, das muss sie Wissen, um die Rühreifrage zu beantworten.
„Ich habe noch gar nicht geschaut, ob die Sonne heute scheint“, gebe ich zurück.
Sie wendet sich wieder ihrem Teller zu. Anstatt abzubeißen, ist sie mehr damit beschäftig, Wurstbrote unter dem Tisch in eine Serviette einzuwickeln. Mir scheint, sie plant noch eine Wandertour heute. Bekomme einen Teller mit fertig geschmierten Brot und Brötchenscheiben hingestellt. Bevor ich noch nach Rührei fragen kann, ist die Bedienung bereits verschwunden. Na ja, vielleicht später. Versuche abzubeißen. Das ist kaum möglich. Das nette Zimmermädchen sieht das.
„Haben sie denn gar keinen Hunger“, fragt sie. „Oh, sie haben ja ihre Zähne gar nicht im Mund, warten sie ich hole sie gleich“, tuschelt sie mir ins Ohr.
Das ist jetzt peinlich. Hatte ich nicht bemerkt. Die anderen Anwesenden anscheinend auch nicht, während ich mich mit einer Hand vor dem Mund umschaue.
Kurz darauf bin ich gerettet. Das pappige Marmeladenbrötchen spritz mir beim abbeißen über die Hand. Das mit den Zähnen hätte sie sich sparen können, schmeckt nicht. Nach was wollte ich eigentlich nachfragen? Während ich noch überlege, kommt sie mit einem Tuch.
„Sie brauchen besser doch ein Lätzchen.“
Hallo, für solche Spässe habe ich nichts übrig. So wird es bestimmt nichts mit dem Trinkgeld. Lasse es über mich ergehen, und der Hunger treibt auch noch ein paar Schnittchen rein. Also morgen möchte ich aber -, bevor ich meinen Gedanken zu Ende bringen kann, trommelt die Bedinung. Sie will abräumen. Schaue mich um, die meißten sind bereits verschwunden.
Das unbefriedigende Frühstück hat mich geschafft, ist wohl auch die Klima- oder Zeitumstellung. Sollte eine Ruhepause auf dem Zimmer einlegen, und dann weitersehen.
Bin jetzt den Gang dreimal rauf und runtergegangen, welches ist bloß mein Zimmer. Ich kann doch nicht überall anklopfen und reinschauen. Das Zimmermädchenm erlöst mich.
„Na Herr Neumann, wollen sie sich noch ein wenig ausruhen?“
Ich nicke. „Hier, die Tür mit dem Apfel, das ist ihr Zimmer. Wissen sie doch.“
Sie öffnet selbige, und ich schlüpfe rein. Ich kann mir am ersten Tag doch nicht gleich alles merken, ich bin neu hier.
Wache auf, und bin geblendet. Die Sonne scheint durch meine Terassentür. War auf meinem Sessel weggenickt. Verdammte Zeitumstellung. Verlasse das Zimmer über die Terasse. Ein Gärtner oder Hausmeister macht sich am Rasen zu schaffen.
„Bei einem so großen Garten gibt es sicherlich viel zu tun“, begrüße ich ihn freundlich.
„Das verflixte Moos, das verflixte Moos“, antwortet er, sich dabei auf seine Vertikutierharke stützend. „Das machen die mit Absicht. Immer so viel Arbeit“
Er fährt fort den Rasen traktieren.
„Ja, ja, als Hausmeister glbt es bestimmt immer viel zu tun, bei Wind und Wetter.“
Er richtet sich stolz auf.
„Ich bin Maurer, das macht mir nichts aus.“
Hausmeister, Maurer, Gärtner, was macht das schon. Ich blicke an ihm herunter. Bei so viel Arbeit hatte er wahrscheinlich nicht mal die Zeit, die Hausschuhe gegen Stiefel zu wechseln.
„So viel Arbeit“ antworte ich, halte das Gespräch in Gang.
„Das verflixte Moos.“
Er wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Die Fläche um ihn herum ist schon schiere Erde, wahrscheinlich will er auch noch ein Blumenbeet anlegen.
„Ich bin hier im Urlaub, gerade angekommen. Habe mich noch nicht ganz aklimatisiert.“
„Das machen die mit Absicht“, zerrt dabei an einem Rasenplacken.
Ich will ihn nicht fortwährend stören.
„Muss dann mal weiter.“
Wende mich ab und höre noch, wie er auf das Moos schimpft und stöhnend noch die ungepflegten Wege erwähnt, die er auch noch schaffen muss. Ja, ein Hausmeister hat viel zu tun in solch einem Hotel.
Ein paar Meter später, gibt man mir Bescheid, das Mittagessen wäre serviert. Ein Spaziergang macht hungrig, ich komme gerne.
Wieder an der langen Tafel sitzend, erkenne ich am anderen Ende den Hausmeister. Bin etwas verwirrt. Nehme mir vor, nach dem Essen am Empfang nachzufragen, ob das seine Richtigkeit hat.
Vollpension war eine gute Entscheidung. Und wieder mit Bedienung. Ich frage meine Tischnachbarin, ich glaube es ist die Selbe von heute Morgen, was denn auf der Karte steht.
„Welcher Tag ist heute?“ fragt sie mich.
Das muss sie wohl wissen, um die Speisenfrage zu beantworten. Bin etwas verunsichert. Verdammte Zeitumstellung.
„Ich war heute bereits spazieren, schön hier. Sind sie schon lange in diesem Hotel?“
„Und welcher Monat?“
Zum Glück bekomme ich in diesem Moment mein Essen. Es gibt Fischstäbchen. Das erinnert mich an meine Schulzeit. Ich kam nach Hause, stellte mein Fahrrad an die Hauswand, und beim Türöffnen roch ich bereits, was meine Mutter mir zubereitet hatte. Fischstäbchen war meine Lieblingsspeise. Die Sonne durchflutete die Küche, meine Mutter in ihrer Kittelschürze strahlte gleich einer goldenen Statue und freute sich über meinen gesunden Appetit. Während des Kauens, berichtete ich ihr, was so in der Schule passiert war. Sie ermahnte mich dann immer, nicht mit vollem Mund zu sprechen. Das ist wohl ein paar Jahre her.
„Essen sie Herr Neumann, sonst wird es kalt.“
Die Bedienung holt mich aus meiner Erinnerung zurück. Fischstäbchen war mein Lieblingsessen.
„Und sie Frau Müller bleiben auf ihrem Teller.“
Sehe, wie meine Tischnachbarin sich eines meiner Fischstäbchen angelt. Fasse meine Gabel fester. Die Bedienung stellt sich schlichtend zwischen uns. Wird dann aber abgelenkt. Der beleibte Mann im Rollstuhl gegenüber, das Zimmermädchen will ihm beim Essen helfen, bekommt einen Jammeranfall. Wimmernd spuckt er ein paar Brocken aus. Zwei Plätze weiter hebt eine Frau die Hand und gibt kund, dass sie zum Klo möchte.
– Sind wir hier in der Schule? –
„Wenn ich damals aus der Schule kam,“ hob ich an, komme aber nicht weiter, weil meine Tischnachbarin wieder versucht mir ein Fischstäbchen zu entwenden. Ich packe meine Gabel und steche die Zinken in ihre Hand. Mit weit aufgerissenen Augen blickt sie mich an.
„Ich muss aber mal,“ kommt die Beschwerde von schräg gegenüber.
Neben ihr erhebt sich ein Riese, holt sein Penis aus der Hose und uriniert auf den Tisch. Das Zimmermädchen will das verhindern. Meine Nachbarin sieht auf ihre Hand. Blut tropft heraus und aus ihr ein gellend lauter Schrei. Ich stecke mir zur Sicherheit das Fischstäbchen komplett in den Mund. In diesem Moment rutsch der beleibte Mann, der vorher schon auf halb Acht hing, gänzlich aus seinem Rollstuhl und plumpst auf den Boden. Ich muss lachen, bekomme einen Erstickungsanfall und spucke alles wieder aus. Jetzt ist richtig was los. Ein weiteres Zimmermädchen kommt herbei, will meine Nachbarin verarzten. Meine Tischnachbarin verliert dabei ihre vollbepackte Servitte und ein Haufen Kartoffelbrei klatscht auf den Boden. Das Zimmermädchen tritt voll rein, rutscht aus und kann sich gerade noch an meinem Stuhl festhalten und zieht mich dabei rückwärtig auf das Parkett. Knalle mit dem Kopf auf denselben. Bevor ich das Bewustsein verliere, ich sehe nur den jammerden beleibten Mann, höre „jetzt muss ich nicht mehr,“ und frage mich, ob ich diese Reise noch stornieren kann.
Wache auf. Bin orientierungslos. Ein Zimmermädchen betritt den Raum.