Der Grill-Contest


Der Grill-Contest

Das Klingeln meines i-phons holt mich aus meiner noch so dringend nötigen Tiefschlafphase. Zu müde für ein pampiges Hallo, nuschel ich irgendwas unverständliches in das Gerät. „Hallo Herr Krökel, sind sie das. Hier ist Frank Zimmermann, der Marktleiter von REWE. Ich freue mich, ihnen mitzuteilen, dass ihr gestern Abend online übermitteltes Konzept für den heute stattfindenden Grill-Contest, begeistert angenommen wurde. Sie wissen, die Zusage war verbindlich.“

„Ähh“, ich versuche die letzten Biere von gestern aus meinem Kopf zu schütteln.
„Na, ihr Vorschlag mit dem offenen Lagerfeuer-Grill. So etwas hatte uns noch gefehlt. Start ist heute pünktlich um 14.00 Uhr auf dem Parkplatz unseres Einkaufzentrums. Enttäuschen sie uns nicht. Bis gleich.“
Ich komme gar nicht mehr zum Nachfragen, schon aufgelegt. Wieso eigentlich bis gleich? Langsam dämmert mir irgend etwas. Der kleine Grill-Abend gestern in meinem Schrebergarten mit meinen Freunden war wohl doch etwas ausgeufert. Bei dem Anzündpapier war die Beilage, Teilnehmer für den Grill-Contest gesucht. Und Heiner natürlich, überschwenglich wie er so ist: Da machen wir mit! Verfluchtes, modernes Komunikationszeitalter, hemmschellensenkendes Bier getrinke, und gleich ausgefülltes Anmeldeformular auf dem Smartphone durchgezogen. Wieso stand da dann eigentlich mein Name drin? Müssen wir da jetzt wirklich hin? Was, wie spät ist es? Versuche Heiner anzurufen. Nicht zu erreichen. Micha, er war doch gestern auch dabei, nimmt nicht ab. Ich fühle mich irgendwie verraten. Kaffee. Dusche. Weitere Anrufversuche erfolglos. Beim anziehen entdecke ich die zerknüllte Zeitungsbeilage in der Hosentasche. Augen scharf stellen, schwierig. Immerhin entdecke ich, dass alle Zutaten und Getränke kostenlos aus dem Laden besorgt werden können. Habe heute ja eh nichts besseres vor, und auf bin ich auch schon. Das erste Konterbier auf Kosten des Marktleiters und alle Folgenden auch. Das wird dann wohl ein spätes Grillfrühstück.
Noch leicht benommen aber auch irgendwie euphorisch, mache ich mich auf zum Garten. Schubkarre raus, Steine rein. Oben drauf ein fettes Bündel Buchenknüppel aller Stärken. Trockenes Holz ist das A und O. Grillrost, Fischgrill, für reinigen ist jetzt keine Zeit, und ein paar frische Kräuter, scharfe Pepperonischoten und Kapuzienerkresseblüten, das Auge isst schließlich mit. So rolle ich die Karre Richtung nahem Supermarkt.
Einsetzende Übelkeit, Schwindelgefühl und ein Schweißausbruch lassen mich an meinem Verstand zweifeln, als ich einen Blick über den Parkplatz des Supermarktes werfe. Auf solch einen Trubel bin ich nicht vorbereitet. Bunte Fähnchen, Luftballons, Bierzeltgarnituren, Pavillions, schreckliche Musik und viel zu viele Menschen. Fluchtinstinkt ergreift mich, will gerade kehrt machen, als ein Arme wedelnder vermutlicher Marktleiter auf mich zu kommt. „Sie müssen Herr Krökel sein. Willkommen. Es sind schon fast alle Teilnehmer da. Ich sehe, sie sind ja gut vorbereitet. Suchen sie sich doch schon einen Platz aus.“
Keine Gegenwehr mehr möglich. Während ich mich umschaue, eine Stelle so weit wie möglich entfernt der Lautsprecherboxen auszumachen, tuckern zwei fette Harleys mitten auf das Gelände. Die beiden Biker-Originale steigen gemächlich von ihren Maschinen und holen die Teile eines der bekannten Dreibeingrills aus ihren Satteltaschen. Ich sehe mit einer gewissen Beruhigung, es sind auch noch andere Freaks am Start.
Sortiere meine Steine auf einem kleinem Grünstreifen zwischen den Parkplätzen, wirklich gemütlich ist das nicht, aber das Beste, was ich finden konnte. Während ich die Steine aneinander passe, werfe ich einen Blick auf die beiden Biker, die gleich zwischen ihren Maschinen den Grill aufgestellt haben, gleich einer Wagenburg, echte Cowboys, und sehe, wie sie sich schon ein Bier aus ihren Satteltaschen fingern. So kann man auch Gemütlichkeit erzeugen.
Der Marktleiter kommt auf mich zu, floskelt ein bißchen herum, und bittet mich, dass wir uns alle in 15 Minuten vor dem Eingang versammeln möchten. Also wieder rein in das Gewühl. Zum Glück wird die Musik jetzt ausgeschaltet. Der Marktleiter steht vor dem Portal, über ihm ein Banner, welches den ersten REWE-Grill-Contest anpreist, in seiner Hand ein Mikrofon. Ich sende Stossgebete aus, dass er sich kurz fassen möge. Nach dem üblichen Blabla winkt er einen Mann heran. Mit Stolz und freudetriefenden Gesicht stellt er den berühmten Fernsehkoch Peter Rasch vor. Kenne ich nicht. Er wird derjenige sein, so fährt er fort, der die Grill-Gerichte probieren wird, um das Gewinnerteam zu ermitteln. Schließlich gibt es wertvolle Preise zu gewinnen. Aha, es gibt also was zu gewinnen. Hatte ich ganz übersehen. Egal, ich würde jetzt lieber mal in den Laden, ich spüre, ich brauche bald ein Bier, sonst überstehe ich diesen Trubel nicht. Bevor wir aber unsere notwendigen Utensilien besorgen können, steht uns noch eine Mannschaftsvorstellung mit Gruppenfoto für die Presse bevor. Heiner wird echt was zu hören kriegen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe.
Während ich mich noch ärgere, ich bekomme gar nicht mit, dass die ersten Teams schon aufgerufen wurden, ertönt mein Name über Lautsprecher. „Herr Krökel ist das einzige Solo-Team heute. Er arbeitet mit dem Lagerfeuer-Grill“. Wohl oder übel muss ich wohl nach vorne, und versuche mich gleich etwas weiter hinten aufzustellen. „Das nächste Team sind die Grill-Champs“, dröhnt es aus den Lautsprechern,“ sie benutzen den Campinggaz Expert“. – Aha, also auch mit Product-Placement heute. – Es lösen sich drei Männer aus der Menge, alle haben die gleichen Grillschürzen mit besticktem Teamnahmen, Polo-Shirts und identische Turnschuhe. Sie stellen sich sofort breitbrüstig vor alle anderen. Gut so. „Und nun habe ich die Freude ein reines Frauenteam anzukündigen“, versucht der Marktleiter zu schmeicheln, „das Team Pink. Sie grillen auf einem Rommelsbacher Elektrogrill“. Drei Frauen kommen auf uns zu, eine Dralle, eine Hübsche und eine Vollbusige mit weitem Ausschnitt. „Ja wer von den dreien soll denn grillen, das geht doch gar nicht“, höre ich einen der Champs tuscheln. „Dann bitte ich das Team Jasmin und Ahmed zu mir, sie benutzen auch einen Elektro-Grill von Schaub-Lorenz“, stellt der Marktleiter das vorletzte Team vor. Wieder Getuschel der Champs als die blonde Frau und der südländisch aussehende Mann sich uns anschließen. „Vermute die bereiten Kamelragout zu“. Die anderen beidern Champs kichern. Ich werde das Gefühl nicht los, es gibt anscheinend bei einigen Teilnehmern nicht nur Konkurenzdruck, nein auch eine gewisse Art von Ausländerfeindlichkeit scheint sich aus der Mitte der Gesellschaft breit zu machen. Wenn ich jetzt kotzen müsste, wurde ich keinen Verkehrten treffen. Werde abgelenkt. Der Marktleiter erneut: „Zu guter Letzt haben wir noch Erwin und Horst, sie nehmen den klassischen Dreibeiner mit Holzkohle“. So heißen die Biker also. Steif und breitbeinig, wie Cowboys halt so sind, und immer noch in ihren Lederjacken, und das bei diesen Temperaturen, reihen sie sich bei uns ein.
Wir lassen ein Blitzgewitter von übermotivierten Fotoreportern über uns ergehen. Dann können wir endlich in den Laden, einkaufen ohne zu zahlen, das wird Spass machen. Erst mal in die Getränkeabteilung. Erwin und Horst setzen ebenfalls diese Priorität. Wir nicken uns zu. Sympathie kommt auf. Klassisches Grillen hat schließlich auch was mit Bier trinken zu tun. Weiter geht es zum Tiefkühlbereich. Seelachs werde ich machen (viel Anderes kann ich eh nicht), genügend muss es sein, brauche schließlich was, um mich wieder aufzubauen. Und wer weiß, wie viel dieser merkwürdige Fernsehkoch so wegprobiert. Schnell die weiteren Zutaten eingesammelt, und raus. Feuer entzünden und Bier öffnen. Ich habe vorsichtshalber eine ganze Kiste genommen, brauche ja auch eine Sitzgelegenheit.
Endlich entspannende Tätigkeiten, die mich vom Drumherum ablenken. Feuer versorgen, es brauch schon etwas um eine anständige Menge Glut zu bekommen, den Schafskäse würzen und in Alufolie verpacken, der Fisch taut bereits in der Sonne, die sich heute von ihrer besten Seite zeigt. Wenngleich es vielleicht doch etwas zu schwül für ein Feuer am frühen Nachmittag ist. Da hilft nur noch ein weiteres Bier. Nun wird es auch Zeit die Roste zu reinigen, dafür hatte es nicht mehr gereicht. So packte ich sie in die Flammen, die die Reste vom Vortag verkrusten und die dann mit einem Holzstück leicht abzukratzen gehen. Das allerdings unter den skeptischen Blicken des vermeintlichen Profikochs, der gemeinsam mit dem Marktleiter immer wieder von Team zu Team kam. Wenn ich ihnen dann ein Bier anbot, welches sie ablehnten, zogen sie zügig weiter, woraufhin ich über Entfernung dann Erwin und Horst zuprostete.
Ich habe jetzt etwas Muße mich umzuschauen. Erwin und Horst amüsieren sich anscheinend prächtig, der Wettbewerb scheint ihnen egal zu sein, hatten sie doch einfachhalthalber lediglich fertig mariniertes und eingeschweißtes Fleisch ausgewählt. Rechts von mir ereifern sich Jasmin und Ahmed, das Frauenteam und gleich daneben die Champs an ihren Hightech-Geräten. Unser aller Ober-Koch-Guru hält sich, und das sehr häufig, bei den Frauen auf, schaut, wie es scheint, doch bevorzugt in den Ausschnitt der Vollbusigen, weniger auf deren Grillrost. Die Champs, bei denen gerade erfolgreich ein Taschenflachmann herumgegangen war, stört das nicht. Im Gegenteil, sie glotzen nicht nur selber, sondern scheinen wohl auch abfällige Sprüche abzulassen.
Zeit die in Alu verpackten Kartoffeln an die Glut zu legen. Dann den Freiraum nutzen, auf das Klo zu gehen, auch um das Gesicht zu erfrischen. Auf dem Rückweg dem DJ klar machen, die Musik ist zu laut. Mittlerweile war eine kleine Brise aufgekommen, aber es wird nicht merklich frischer. Der Schafskäse muss auf den Rost, den bereits aufgetauten Fisch würzen und im Fischgrill verstauen. Es läuft alles ganz gut zusammen, außer der Hitze, die wird zunehmend unerträglich und allen Teilnehmern stehen nicht nur Schweißtropfen auf der Stirn.
Bei den Champs geht es gerade aufgeregter zu. Sie hatten sich für Nackensteaks entschieden, wie ich auf dem Rückweg vom Klo sah. Kleine Stichflammen kommen aus ihrem Grill, drohen das Fleisch zu verkohlen. Das kann vorkommen, wenn Fett an den Lavasteinen vorbeitropft, und direkt auf den Gasbrenner fällt. Das so selbstsichere und sich anscheinend bis dahin schon als Siegerteam wähnende Gespann bricht mit gegenseitigen Vorhaltungen in Hektik aus. Nun kann ich auch endlich mal was verstehen. Das Damenteam nimmt es zum Anlass, die affektierten Heinis zu verspotten. Loben ihre rein vegane Gemüsevariante. Das facht das Wortgeplänkel nur noch weiter an. Erste unflätige Beleidigungen gegen die Frauen kommen auf. Das scheint Jasmin überhaupt nicht zu schmecken und mischt sich solidarisch mit ein. Daraufhin schreit einer der Champs, was sie denn wolle, als Frau eines arabischen Sozialschmarotzers müsste sie doch gelernt haben, den Mund zu halten. Ahmed, der Jasmin vorher zurückhalten wollte, greift sich den Grillspieß mit den halbgaren Hähnchenschenkeln und pumpt sich auf. Der Marktleiter kommt herbeigeeilt. Vergesse fast meinen Fisch zu drehen. Kann er die Streithähne beruhigen? Nun fallen doch Worte wie Schlampe und Arschloch. Der Himmel verdunkelt sich. Ahmed fuchtelt mit dem Spieß vor dem Gesicht eines Champs, der beim zurückweichen stolpert, sich mit der Hand auf ihrem Grillrost abstützt, während gleichzeitig eine weitere Stichflamme hochzüngelt. Sein Schreien wird vom ersten Gewittergrollen untermalt. Die anderen beiden Champs stürzen sich auf Ahmed und ihn zu Boden. Beim Versuch sich festzuhalten, reißt er der Drallen das verschwitzte T-Shirt vom Leib. Eine Tierrechtsbotschaft steht auf den Brüsten. Mein Gott, – ein weiteres Gewittergrollen ertönt – es sind Femen! Die anderen Beiden ziehen ebenfalls blank und ins Gefecht gegen die Nackensteakgriller. Den Marktleiter erwischt ein Ellbogen im Gesicht, er geht zu Boden. Jasmin ergreift ein scharfes Gemüsemesser und stürzt vor, aber auch gleich über den Marktleiter zu Boden, wobei sie den Gasschlauch zertrennt. Die Luft steht plötzlich still.
Erwin und Horst sind gerade auf dem Weg, sich mit in das Getümmel zu stürzen, als das ausströmende Gas sich entzündet. Mit einer heftigen Explosion entläd sich ein Gewitter über uns, und die Gasflasche bahnt sich ihrem Weg Richtung Musikpavillion. Der bricht zusammen und ein Platzregen über uns herein. Das Chaos ist perfekt. Die Erfrischung trennt die erhitzten Gemüter. Alle laufen kreuz und quer durcheinander. Wird Zeit, dass ich mich unterstelle.
Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Der Parkplatz sieht aus wie ein Schlachtfeld. Die meißten Leute sind verschwunden. Gehe zu meinem Platz, der Schafskäse hat das Inferno überlebt. Nun gut, dann gibt es jetzt wenigstens den und ein neues Bier. Der Marktleiter gesellt sich mit einem blauen Auge zu mir, möchte jetzt auch eins. Erwin und Horst kommen dazu, sichtlich guter Laune. Biertrinkend will ich allen ein Stück Schafskäse anbieten, als plötzlich wie aus dem Nichts der Grillexperte auftaucht und möchte probieren. Wie ich befürchtet hatte, ein Fresssack. Na ja, es gibt auch nichts anderes zu probieren. Ich gewinne konkurenzlos einen feudalen Elektrogrill. Wo ich doch gar keinen Strom in meinem Schrebergarten habe.
Ich weiß, wenn ich wieder ein Feuer entzünden werde, verbrenne ich zuerst die Zeitungsbeilage.