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Verabredet waren wir auf dem Parkplatz des Findlingparks südlich von Reddereitz. Ich war etwas früher angekommen und wartete mit Spannung auf meine Teilnehmer. Sechs an der Zahl sollten es sein. Der Nebel lichtete sich langsam und ein sonniger Herbsttag stand in Aussicht, ideal den Wald nach Pilzen abzusuchen.
Das ist mein Angebot, nicht nur die pilzkundliche Führung, die ganzheitliche pilzkundliche Sammlung. Das klingt doch nach etwas Besonderem. Ich will mich schließlich von anderen Führungen unterscheiden und mein Klientel in der Esoszene finden. Dort hoffe ich besser absahnen zu können. Ganzheitlich klingt immer gut. Aus dem Grunde auch dieser Startplatz; der Findlingspark hat schon ein besonderes Ambiente, aufgebaut wie eine Schnecke kommt man von der Jetztzeit an reichlich Steinen vorbei zurück bis in die Urzeit. Da sind meine Leute gleich ziemlich beeindruckt.
Die Idee dazu kam mir im letzten Herbst. Ich wohnte jetzt seit knapp drei Jahren hier im Wendland, geflüchtet aus meinen vorherigen sozialen Bindungen, hatte ich in Quartzau ein kleines Anliegerhäuschen ergattern können. Einfach ist es hier nicht in dieser Region Geld zu verdienen und so bin ich im Herbst immer im Wald unterwegs und fülle meinen Speiseplan auf. Nicht, dass ich sonderlich viel Ahnung von Pilzen habe, aber es reicht für die gängigen Sorten. Andere haben noch weniger oder gar kein Wissen und nach der dritten Nachfrage, ob ich den ein oder anderen nicht mal mitnehmen könnte, fand ich das einen guten Plan nebenbei meine Kasse etwas aufzufüllen.
Meine damaligen Kontakte in Hamburg zu einer esoterisch angehauchten Szene und deren Bereitschaft Geld hinzulegen und nicht zu knapp, Hauptsache ein Flair Außergewöhnlichkeit und ein Hauch Spiritualität standen im Vordergrund, ließ mich sofort diesen Kreis als mein potentiellen Kundenstamm auswählen. Also druckte ich mir ein paar passende Flyer, gestaltete eine Webseite und verbreitete meine Info in ausgesuchten Läden in dieser Großstadt. Jetzt im zweiten Jahr hatte ich im Herbst schon fast jedes Wochenende eine kleine Truppe beisammen. Diesen Tag vor gut zwei Wochen werde ich allerdings nicht so schnell vergessen.
Vor zwei Tagen hatte es noch üppig geregnet und ein frischer Kiefernwaldduft drang in unsere Nasen während wir die erstem Schritte auf den weichen Boden setzten.
Einen Wald betreten, ist wie in eine lebendige Halle kommen. Hoch oben blinzelt die Sonne durch die Blätter und Nadeln, das bewegliche Dach, jeder Windhauch spielt mit den Lichtreflexionen, gibt ein Knarren hoher schlanker Kiefern von sich und unsichtbare Vögel lassen ihre Stimmen zwischen den Stämmen hallen.
Das ist immer wieder beeindruckend, aber ein Stadtmensch wie Gabi aus Hamburg-Wandsbeck, eine kleine leicht pummelige Frau mit hennarot gefärbten langen Haaren, zu Zöpfen gebunden und selbstgebatikten weiten Klamotten, war sprachlos.- Nur für einen Moment.- Dann huldigte sie in weit ausgeholten Sätzen der Schönheit, Vollkommenheit und Heilkraft der Natur. Die Anderen nickten zustimmend. Ich merkte, ich hatte jetzt schon gewonnen. Nur noch ein paar Maronen und Birkenpilze finden, vor Fliegenpilzen warnen, und dann, dass gehörte ja zu meiner ganzheitlichen Sammlung dazu, würden wir unsere Funde in meiner mitgebrachten Pfanne auf einem kleinen offenen Feuer zubereiten.
Der Anfang lief recht vielversprechend. Zwei Parasolpilze hoben sich hell vom Waldboden ab und ich vertraute sie Gabi mit ihrem großen Korb an. Sie fühlte sich geehrt, drückte den Korb fest an ihren Bauch und gab sogleich die Vorzüge ihres erst vor kurzem teilgenommenen Flechtseminars zum Besten. Ich nickte anerkennend, lobte ihr Werk. Meine Gedanken zu diesem Monstrum und der Unhandlichkeit im Wald behielt ich lieber für mich. Stattdessen holte ich aus, die Parasolpilze gehören zu den Lammellenpilzen und könnten leicht mit Knollenblätterpilzen, die zu den giftigen Vertretern gehören, verwechselt werden,. Der Verzehr würde fatale Folgen haben. Respektvolle Blicke lagen auf meinen Händen.
Wenig später fanden wir eine kleine Gruppe Maronen. Ich ließ sie Gabriela abschneiden, wies noch einmal darauf hin, dass das Wurzelgeflecht nicht beschädigt werden sollte und ließ alle an dem leckeren Duft dieser Sorte riechen.
Mit so etwas musste ich natürlich rechnen. Ulrike war es dieses mal. Mehrere Kräuterworkshops lagen hinter ihr und sie konnte es nicht für sich behalten,und vor allem auf den Umstand hinzuweisen, dass Metallklingen beim Schneiden von Planzen nicht energetisch sind. “Wir sollten uns Holzmesser schnitzen“, sprang Günther, ein anämisch aussehender Typ, wahrscheinlich hatte ihm der letzte Makrobiotikkurs auf den Magen geschlagen, gleich mit auf den Zug.
Da hatte ich das Problem. Feinstofflichkeitsdebatten sind bei diesem Klientel leider mit inbegriffen. Die erst kürzlich erworbene Einheit der Gruppe war, durch nicht enden wollende, mit Halbwissen gespickte, Auseinandersetzungen, in Gefahr. Solch derartige Gespräche konnten mir schon mal den Tag verderben. Nein das machen sie nicht mit Absicht, das war mir irgendwann klar geworden. Unsicherheit über ihr vermeintliches Wissen aus diesem oder jenem Kursus ist der Motor dieser gedankenlos dahin geworfenen Sätze. Da heisst es freundlich, knallhart und selbstsicher entgegen wirken. Ein flabsiges Quatsch würde jetzt die ganze Situation blockieren, dies galt es anders auszuhebeln: “Danke Ulrike, ich sehe du machst dir förderliche Gedanken um unser Wohlergehen und in der Heilkunde, in der es ja bekanntlich um Feinstofflichkeiten geht, man siehe nur die Homöpathie, ist dies auch bestimmt von Nöten, hier aber sind wir eher in einen rudimentärem Handeln, es dreht sich um Nahrungsbeschaffung. Oder ist hier jemand der phychoaktive Pflanzen sammeln möchte?“ Schweigen in der Runde. „Sollte jemand trotzdem Bedenken haben, wir können die Pilze auch mit Geschick herausdrehen, Hauptsache wir verletzen nicht das Wurzelgeflecht.“ Ulrike schaute verlegen zu Boden und Günther ließ das Holzstück fallen, mit dem er sich wohl gleich ein Messer schnitzen wollte.
Das hatte ich meiner Ansicht nach ziemlich gut hingebogen und das Glück war mir hold, die Ablenkung perfekt, denn ich erblickte in der Nähe eine Espenrotkappe. Dieser Pilz, aus der gleichen Familie wie der Birkenpilz, ist in diesen Wäldern nicht so häufig anzutreffen und nichterfahrene Sucher würden den herrlich orangerot leuchtenden Hut vorschnell als Giftpilz einordnen. Diese Information und dass ich diesen Pilz Ulrikes Körbchen anvertraute, stellte meine Position wahrlich nicht mehr in Frage.
Zum Glück hatte ich mir einiges Wissen angelesen und auch genügend behalten, ein Buch dabei haben geht aber gar nicht, das wirkt unproffessionell. Erstaunlicherweise sind viele der heimischen Pilze essbar, einige zwar minderwertig oder nur durch besondere Zubereitung, nicht so viele ungenießbar oder sogar giftig. Kam jemand mal mit einem mir unbekannten Pilz, so titulierte ich diesen mit einen nicht sehr schmackhaften Namen und einer Familie wie Schleimling oder Bitterling, sagte er wäre ungenießbar und das Thema hatte sich erledigt. Es kann doch keiner von mir erwarten aus jedem Teilnehmer einen erfahrenen Mykologen zu machen, vielmehr ist doch wichtig, dass sie später alleine im Wald drei bis vier Pilzsorten erkennen und mit ruhigem Gewissen ernten können. Außerdem bietet mein Konzept auch das Abchecken von Frische und Wissen über Putzen und Zubereitung. Und das alles draußen wie Waldbewohner. Von solch einem Tag werden sie später noch schwärmen.
Wir hatten eine Stunde ausgemacht, dann wollten wir uns wieder treffen. Es ist doch immer wieder herrlich mit welchem Orientierungssinn Menschen durch den Wald laufen, keine Schilder, auffällige Reklametafeln oder ähnliche Hilfen. Ich sage immer, lauft nicht zu weit und achtet auf den Sonnenstand, am Ende muss ich sie doch immer mit lautem Gepfeife herbeilocken. Natürlich auch dieses mal. Dann sind alle immer froh, dass sie das Abenteuer überstanden haben.
Rotwangig schnaufend ließen sie sich auf dem weichen Waldboden unseres Treffpunktes nieder. Neben sich ihre Körbe mit der Beute. Durchatmen lassen, dann die Kontrolle und nicht mit Lob sparen und darauf hinweisen, ruhig mal in den Wald pinkeln. Wenn wir etwas von diesem phantastischen Ort geschenkt bekommen, sollte wir auch etwas zurückgeben. Die Abgabe von Flüssigstickstoff ist auf jeden Fall eine gute Gabe.
Ariane und Fabian-Alexander, glaube ich hieß er, beide ein scheinbar unzertrennliches Pärchen, sie hatten sich bei einem Biodanza Workshop kennengelernt, was sie uns gleich mitteilen mussten, währenddessen sie sich tief in die Augen blickten, brachten einen gut gefüllten Korb mit und stellten ihn stolz vor mich hin. Auf den ersten Blick sah er sehr vielversprechend aus. Gabi und Ulrike, als zweites Paar unterwegs, brachten eine spärliche Beute mit, ließen sich etwas abseits nieder und setzten ihre wahrscheinlich schon einstündig andauernde Unterhaltung fort. Als Letztes kamen Günther und die unscheinbar aussehende Gabriela. Vielleicht lag es an ihrem sackartigen Kleid, dass sie mir nicht aufgefallen war. Prustend und mit geröteten Wangen kniete sie sich hin und zog ihr Kleid über den Kopf. Zwei herrlich anzusehende und durch keinen BH eingezwängte Brüste zeichneten sich durch das leicht verschwitzte T-Shirt ab. Unwillkürlich, ich lobte gerade den gefundenen Steinpilz (ein Vertreter der Familie Boletus) aus Arianes und Fabian-Alexanders Korb, zog dieser Anblick meine Aufmerksamkeit auf sich und sagte Ulrike, die gleichzeitig herüberrief, dass auch sie eine Rotkappe gefunden hätten, zwar nur eine Kleine, ich sah nur aus den Augenwinkeln ein orangerotes Leuchten, den Pilz zu den Anderen in den Korb zum Putzen zu legen.
Wir hatten einen üppigen Fund zusammen. Die Sechs säuberten und schnitten die Beute. Ich entzündete derweil das Feuer. Meine Lieblingsbeschäftigung, wenn ich das hier noch erwähnen darf. Tut aber nichts zur Sache. Oder etwa doch.
Pilze in Butter angebraten, mit Pfeffer und Salz abgeschmeckt und Sahne verfeinert, dazu ein Baguette, welche am Rande röstete und eine Flasche Rotwein, die jetzt schon mal die Runde machte, gehörten zu meinem Repertoire, und die Stimmung stieg.
Die Pilze waren fertig. Wir saßen im Kreis um das Feuer und ich bat alle die Hand des Nachbarn zu nehmen. Sendet positive Energie für die Mahlzeit und dankt der Natur, die uns so reich beschenkt hat. So meine Worte. Die Rituale, die solch einem Unterfangen, die besondere Note geben und jedem das Gefühl ein Teil des ganzen Universums zu sein.
Holzschüßelchen, zum Glück hatte ich welche, dadurch keine weitere Blech- oder Plastikdebatte und jeder eine gut gefüllte in seinen Händen – schmackhafte Pilze, Brot und Wein, so nah an der Natur, leuchtende Augen. Dann abliegen in der Nachmittagssonne, erfolgreiche Jäger und Sammler. Ich hatte es den Stadtmenschen mal wieder gegeben. So einfach war das.
Eines habe ich aus dieser Sache gelernt, ab heute kassiere ich vorher.