Schnega Bahnhof

 

Schnega Bahnhof

7.45 Uhr, ein kühler Februarmorgen, mein Erster auf diesem Bahnhof. Stille kriecht über die Gleise, die sich zu beiden Seiten in frostigen Feldern verlieren. Fühle mich wie im Film. Würde mich nicht wundern, wenn ich gleich die kratzigen Töne einer von Charls Bronson gespielten Mundharmonika höre. Höre sie nicht. Atme durch. Also beginne ich damit die Lage zu peilen. Stehe auf der Ostseite. Vor mir ein tiefer Schottergraben in dem zwei Gleise verlaufen. Auf der gegenüberliegenden Seite das Bahnhofsgebäude und dahinter ein paar weitere Häuser angesiedelt. Auf beiden Bahnsteigen ein kleiner gläserner Unterstand und drüben ganz am anderen Ende der Fahrkartenautomat. So sieht er aus der kleine außerhalb des Dorfes liegende Bahnhof. Nun gut, was soll`s, ich will ja auch weg hier.

Im Wartehäuschen ist ein Fahrplan montiert. Mein Zug fährt von dieser Seite. Nun die Fahrkarte. Ja richtig, der Automat befindet sich auf der anderen Seite. Der kürzeste Weg wäre runter auf die Gleise und durchs Schotterbett. Ein wie aus dem nichts auftauchender Güterzug hält mich von der natürlich verbotenen Querung ab. Bleibt der autorisierte Weg. Ist vieleicht auch besser so. Wer weiß, ob nicht das Gelände Kameraüberwacht ist, und ein betreten der Verbotszone mit einem rüpelhaften Verweis aus den knarrenden Lautsprechern geahndet wird. Vieleicht sind es aber auch nur funktionslose Dekorationen.

Die Strecke zum Fahrkartenautomaten ist länger als angenommen. Gut, dass ich noch genügend Zeit habe. Und eine Karte will ich ja kaufen, um den Schwarzfahrerbonus zu vermeiden. So geht es erst mal gut 200 Meter an der Bahn entlang zu einer Unterführung, um dann die gleiche Entfernung wieder auf der gegenüberliegenden Seite zurückzulegen. Komme dabei an der Front des Bahnhofgebäudes vorbei. Bereits zweckentfremdet. Heißt jetzt Bücherbahnhof. Passt, lese auch gerne in der Bahn.
Damit aber nicht genug der Wegstrecke, der Automat liegt ja am Ende des Bahnsteigs. So komme ich bei der hälfte des Weges schon mal auf einen halben Kilometer und muss auch wieder zurück.

Fahren sie Bahn, dann bleiben sie mobil, fällt mir dabei ein.

Dabei befinde ich mich hier auf einer der renomiertesten Strecken: der Amerika-Linie. Ja richtig gehört, die Anbindung Berlins an die große weite Welt. Bis Bremen. Und dann ging es mit dem Schiff weiter. Wohin wohl? Mitte bis Ende der Dreißiger Jahre sicherlich eine vielfrequentierte Strecke für die, die noch das Glück und Geld hatten.

Diese Bahnlinie exestiert bereits seit gut hundert Jahren, abgesehen von einer kurzfristigen Unterbrechung, die seinerzeit DDR hieß. Aber auch das ging vorbei, und die Bundesrepublik beschloss die Wiederaufnahme als eines der wichtigsten Verkehrsziele. Am 19. Dezember 1999 war es dann soweit.

Zwischen September 1998 und Dezember 1999 wurden auf den 37 Kilometer zwischen Landesgrenze und Uelzen 80 Kilometer Schienen und 67000 Schwellen verlegt, 150000 Tonnen Schotter und Steine verarbeitet, 80 neue Signale ausgestellt, zehn Weichen gebaut, 40 Kilometer Oberleitung gezogen, 163 Kilometer Kabel verlegt und zwei elektronische Stellwerke errichtet. Außerdem sanierte die Bahn auf diesem Abschnitt 14 Eisenbahn-, drei Straßenbrücken und in den Bahnhöfen sechs Bahnsteige. Von ehemals 42 Bahnübergängen wurden 15 ersatzlos gestrichen, und für vier wurden Straßenunter- oder -überführungen gebaut. Eine davon kenne ich jetzt. Die Baukosten für den Abschnitt von Salzwedel nach Uelzen betrugen 270 Mio. DM, die Wiederertüchtigung der ganzen Strecke von Stendal nach Uelzen kostete über eine halbe Milliarde DM.

Genug der Fakten, es wird Zeit für den Fahrkartenkauf. Für die Bahnfahrprofis unter euch muss ich mich bestimmt nicht über die Tücken der Fahrkartenautomaten ereifern. Allen andere sei aber mitgeteilt, es ist wie ein Lotteriespiel. Nimmt er meine Scheine, sind sie auch gut genug gebügelt, oder funktioniert er überhaupt. Wieviel Leute sind vor mir noch dran, haben mehr oder weniger auch überhaupt keine Ahnung, oder nicht das richtige Kleingeld. Man sollte schon rechtzeitig seine Reise antreten. Bei der Deutschen Bahn muss man auf alles gefasst sein, auch dass ein Zug mal pünklich kommt. Und das bei dem Rückweg. Ich bin nicht schnell genug, was mir einen weiteren zweistündigen Aufenthalt beschert. Genügend Zeit mir weitere Gedanken über die Geschichte dieses Bahnhofs und auch das Gelingens des Projektes Deutsche Bahn zu machen.
In der Ferne, glaube ich, höre ich eine Mundharmonika.